Die andere Weihnachtsgeschichte
Frohe Weihnachten
Kurz durchatmend
bleibe ich vor Zimmer 211 der Kinderonkologie stehen.
Wie viele Male
habe ich hier schon wie viele Stunden verbracht?
Hände gehalten,
Tränen getrocknet, Geschichten vorgelesen. Immer wieder berührt von der Stärke
dieser sterbenden Kinder, erschüttert von dem Leiden und selber getröstet von
der Sicherheit dieser kleinen Patienten, in denen das Wissen um den baldigen
Abschied fest verankert ist.
Das Zimmer von
Patrick. Leise trete ich ein, um ihn nicht zu wecken, falls er schläft.
Er liegt allein,
denn viele Kinder dieser Station wurden nach Hause geholt.
Es ist Heilig
Abend, zwar erst Mittag, aber der kleine Junge hat nicht mehr lange zu leben.
Für viele das letzte Fest in ihrem kurzen, schmerzreichen Leben. Wer nicht
transportfähig ist, hat nun seine Lieben am Bett, umgeben von Geschenken,
Lichterglanz im Zimmer und in den Augen.
Nicht so hier.
Sicher, auch dieses Zimmer ist geschmückt. Aber Patrick ist allein. Seine
Eltern gaben ihn schon auf, als er 2 Jahre alt war. Er kennt keine liebevollen
Elternarme, die ihn umschließen. Sein Zuhause war das Kinderheim St. Antonius.
Ich mache diese
Sterbebegleitung, um ein kleines Licht in dieses Leben zu bringen, um es
wenigstens
zu versuchen.
Da liegt er, 5
Jahre alt. Die Wangen unnatürlich gerötet, tiefe Schatten um die Augen. Ich
stelle den kleinen Weihnachtsbaum auf den Nachttisch, zünde eine Kerze an,
drapiere den bunten Teller, ein kleines Plüsch-Rentier und ein Buch drum herum
Er ist wach und
lächelt.
Als ich mich zu
ihm setze, den kleinen ausgezehrten Körper in die Arme schließe, kuschelt er
sich
ganz fest an mich
ran.
„Ich wusste, dass du kommst!“ Ganz schwach ist die
Stimme.
Ich weiß, dass es
nicht mehr lange dauern wird, dann ist seine Erdenreise zu Ende.
„Schau Patrick, ich habe dir ein Buch mitgebracht. Ich habe
es nur für dich geschrieben.“
Wie für meine Kinder und Enkel schrieb ich auch für ihn
immer Geschichten.
„Der kleine Sternenjunge und sein Weihnachtsfest“…Ich las
langsam und wir schauten die Bilder an….
Die Geschichte vom Sternenjunge, der seine letzte Reise
mit dem Rentierschlitten macht und liebevoll
von den Engeln in
Empfang genommen wird.
„Das wird sehr schön werden…“ ein schwerer Atemzug hebt
seinen kleinen Brustkorb.
Schwester Vera ist
kurz im Zimmer- Puls, Apparate, den Tropf kontrollieren. Auf meinen fragenden
Blick
ein bedauerndes
Kopfschütteln.
In den Armen hält
Patrick nun das kleine Plüschtier. Ich singe für ihn > Am
Weihnachtsbaume…<
Seine Augen sind geschlossen. Ein Beben geht immer wieder
durch das kleine Wesen.
>Zwei Engel
sind herein getreten, kein Auge hat sie kommen seh‘n. Sie geh‘n zum
Weihnachtstisch und beten und wenden wieder sich und geh‘n<
Ich halte inne…
Patrick liegt ganz ruhig in meinem Arm. Ein Lächeln im
Gesicht. Er atmet nicht mehr.
Ich brauche sicher
zehn Minuten, um endlich die Klingel zu drücken und die irdische Hülle den
Schwestern übergeben zu können.
Wieder auf dem
Parkplatz, den ich wie in Trance erreiche, meine ich, eine kleine Glocke zu
hören, sehe das kleine lächelnde Gesicht vor mir –
ein Engel ist heimgekehrt.
Frohe Weihnachten
FloravonBistram2002